Werde wer Du wirklich bist – Richard Rohr
Original Buchtitel: “Immortal Diamond” The Search for the True Self
Wir sind nicht einfach das „Ego“, in dem sich Normen und Rollenerwartungen an uns verdichten.
(Text auf der Buchrückseite)
– Wie ein Diamant im Gestein eingeschlossen,lebt in der Tiefe unseres Herzens unser Wahres Selbst.
Spiritualität ist der Weg, auf dem wir in den Erfahrungen unseres Lebens unser Wahres Selbst zum Vorschein bringen.
Das christliche Bild dieser Selbstfindung heißt „Auferstehung“
Richard Rohr (*1943)
Franziskanerpater und Gründer des Zentrums für Aktion und Kontemplation in New Mexico, USA, ist eine prophetische Stimme für spirituell suchende Menschen auf der ganzen Welt. Seine Bücher sind weltweite Erfolge und wurden oft zu entscheidenden Inspirationen für gegenwärtige spirituelle Suchbewegungen. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Ausbildung einer zeitgenössischen christlichen Spiritualität. (Text entnommen vom Buchumschlag)
Einleitung und Hinführung zum Inhalt
Das Vermitteln einer zeitgemäßen christlichen Spiritualität ist der Schwerpunkt der Arbeit von Richard Rohr, wie oben beschrieben, und auch das Ziel dieses Buches. Er will nicht das Christentum der kirchlichen Institutionen reformieren, er will es verwandeln, transformieren.
Es geht bei ihm nicht mehr um den Glauben an einen historischen Jesus, sondern im Mittelpunkt steht der kosmische Christus. Er bezeichnet ihn als „die Personifizierung der gesamten Geschichte unseres Universum.“ und das gesamte Christusmysterium als eine Karte für das Wahre Selbst“. Dabei bezieht er sich dabei auch auf C.G. Jung: „Was im Leben Christi geschieht, geschieht immer und überall.“. Jung bezeichnete Christus als ‚Archetyp des Selbst‘.
Aus christlicher Sicht nennte Rohr diesen Prozess Inkarnation, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt. Die Kreuzigung ist die Voraussetzung für die Auferstehung. Was gekreuzigt wird, was sterben muss, ist das Falsche Selbst, das Ego. Die Auferstehung ist somit das Symbol und ein Auslöser für einen Paradigmenwechsel im menschlichen Bewusstsein. Das alte Paradigma wird repräsentiert durch die Definition des Falschen Selbst, das „was wir denken zu sein, aus dem Gott als ein Objekt betrachtet wird, das wir finden oder besitzen können. Im Wahren Selbst „teilt Gott mit uns unsere Subjektivität, unser „Selbst“
Zitate
Auferstehung
„Das höchste effektive Symbol, das ich in diesem Buch vorstelle, ist möglicherweise das größte und schönste Symbol, das das Menschenherz ersehnt: die Auferstehung, das universelle Muster der Überwindung des Todes.“
„Unsere Furcht vor dem Tod ergibt sich hauptsächlich von einem eingebildeten Verlust unserer eingebildeten Individualität“. Der auferstandene Christus steht für die endgültige Perspektive jedes Wahren Selbst: ein menschlich- göttliches Selbst, das auf Gott blickt und dabei weiß, dass Gott in uns und auch außerhalb von uns ist.“
„Auferstehung ist kein Wunder, das man beweisen muss. Es ist die Offenbarung der Ganzheit, die wir alle erfahren sollen, schon in dieser Welt.“
„Ich glaube, dass der Christus das archetypische Wahre Selbst in der Geschichte ist, der Ort, an dem Materie und Geist endlich zusammenwirken, an dem das Göttliche und das Menschliche in einem Gefäß zusammenkommen,“
„Das Wahre Selbst ist nicht ‚Gott‘, aber auch nicht ‚menschlich‘. Das Wahre Selbst ist beides zur gleichen Zeit. Und beides ist reines Geschenk.“
Kommentar:
Was Richard Rohr hier ausdrückt, ist eine wunderbare Erklärung sowohl für den Gottmenschen Jesus Christus als auch eine Deutung unserer wahren Natur als Mensch auf dieser Welt, unserem Wahren Selbst.
Jesus Christus symbolisiert mit diesen beiden Namen unser Wahres Selbst. Er verkörpert sein Menschsein auf dieser Erde als der Mensch Jesus. Er lebt als Mensch seit seiner Geburt auch als Christus seine göttliche Natur: „Ich und der Vater sind eins.“ Dies ist das, was man als Christusbewusstsein bezeichnet. Im Buddhismus ist es die Buddha-Natur. Man muss weder Christ noch Buddhist sein, um aus diesem Bewusstsein leben zu können.
In der Sprache der psycho-spirituellen Psychologie der Psychosynthese verkörpert Jesus das „Personale Selbst“, das existiert, so lange der Mensch lebt. Da Jesus sich bereits seiner göttlichen Natur bewusst ist, lebt er in ständiger Einheit mit seinem Transpersonalen Selbst. Anders formuliert: Jesus repräsentiert das menschliche Selbst (Personales Selbst) und Christus das göttliche Selbst (Transpersonales Selbst). Beide bilden das Wahre Selbst oder auch einfach unser SELBST.
Das besondere an Jesus war, dass er wohl nie mit einem Falschen Selbst identifiziert war. Das „himmlische Kind“ in der Krippe war somit bereit ein göttliches Kind, so wie wir es an Weihnachten feiern. Auf diesem Hintergrund kann man auch den Begriff „Unbefleckte Empfängnis“ neu und glaubwürdiger interpretieren. Der Fleck ist das Ego, der Kern im Falschen Selbst. Dass die Geburt eines Menschen ohne diesen Fleck des „Egos“, der Illusion, von Gott getrennt zu sein, als eine „unbefleckte“ Empfängnis bezeichnet werden kann, ist einleuchtender als die theologische Interpretation, dass der Heilige Geist der wirkliche Vater sei. Richard Rohr formuliert dies so:
„Jesus hat offenbar nie an die ‚Lüge der Trennung‘ geglaubt, die den Kern des Begriffs Sünde bildet. Er sagte ohne zu zögern: ‘Ich und der Vater sind eins. Darin war er tatsächlich einzigartig – das letztgültige Beispiel und der Anführer für die ganze Menschheit.“
R.Rohr
Der Auftrag von Jesus Christus war, uns Menschen von diesem Falschen Selbst zu erlösen. Tod und Auferstehung wurden so zum Symbol einer Erlösung von dieser Illusion des Getrenntseins. Man kann auch den Begriff Erbsünde dann neu interpretieren. Die Frucht vom Baum der Erkenntnis war der Beginn des dualistischen Denkens im menschlichen Bewusstsein, die Erfahrung von Subjekt und Objekt. Die damit entstandene Illusion, dass man damit die Einheit mit Gott verloren hat, sich also von Gott abge-sondert hat, kann man dann durchaus als die Erbsünde bezeichnen.
Dieses Zitat, dass unser Wahres Selbst sowohl göttlich wie menschlich ist, habe ich so ausführlich interpretiert, damit die nachfolgenden Zitate zu den Erklärungen der Unterschiede zwischen dem Falschem und Wahren Selbst, besser in diese Symbolik von Kreuzigung und Auferstehung eingeordnet werden können.
Das Falsche Selbst
„Das getrennte Selbst ist das Falsche Selbst, und das Falsche Selbst definiert sich immer als einzigartig, als überlegen und abgetrennt.“
„Unser Falsches Selbst entspricht dem, was wir zu sein denken. Aber Denken macht uns nicht zu dem was wir sind.“
„Ihr Falsches Selbst ist jener Teil, der sich ständig verändert und irgendwann stirbt. Es lebt in der Welt der Vergänglichkeit und sieht sich als wichtigen Bezugspunkt – was nie der Wahrheit entsprechen kann“.
„Das Falsche Selbst weiß nicht, was es tut. Das Wahre Selbst ist bewusst, das Falsche Selbst ist unbewusst, das Falsche Selbst ist weitgehend unbewusst. Wir tun nur Böses, wenn wir nicht- bewusst sind.“
(Anmerkung: d.h. wenn wir mit etwas identifiziert sind)
„Das Ego und auch das große kollektive Ego werden in der Heiligen Schrift oft als Teufel oder Satan personifiziert….Das Geheimnis des Teufels liegt immer in der Verkleidung…..Satan führt uns nicht zu sehr zu ‚heißen‘ Sünden, die viel zu offensichtlich böse sind und sich bald selbst offenbaren. Nein, er verführt uns dazu, gute, richtige und sogar bewundernswerte Dinge zu tun, aber aus kalten, heimtückischen und egozentrischen Gründen.“
„Ihr Falsches Selbst verändert sich, vergeht und stirbt mit Ihnen. Nur Ihr Wahres Selbst kennt das ewige Leben.“
„Das religiöse Falsche Selbst ist das meistverteidigte Selbst überhaupt. Wenn Gott für uns oder für eine Gruppe zum Lakaien geworden ist, dann können wir andere straflos hassen, foltern, töten. Das religiöse Falsche Selbst kann Rassismus, Sklaverei und Krieg rechtfertigen, Verrat und Betrug, und dabei keinerlei Schuld empfinden, sondern glauben ‚Gott damit einen heiligen Dienst zu erweisen. – Das Ego findet immer eine Tarnung, also seien Sie vorsichtig mit der Religiosität. Wenn Ihre Religion Ihr Bewusstsein nicht transformiert, ist sie eher ein Teil des Problems als der Lösung.“
„Die meisten Menschen sind so verzaubert von ihrem Falschen (selbstgestricktem) Selbst, das Sie das Wahre Selbst weitgehend bestreiten oder ablehnen – oder nie kennen gelernt haben. Deshalb leben sie in Angst und Ungewissheit. Wir haben so viel Zeit in den Aufbau des Falschen Selbst gesteckt, dass wir uns gar nicht vorstellen können, es könnte nicht wahr sein – oder es könnte nicht ‚ich‘ sein. Selbst viele Gläubige verbringen einen großen Teil ihres Lebens damit, ein sehr ‚christliches‘ Falsches Selbst herzustellen und zu pflegen, rühren aber den Kern, das Wahre Selbst überhaupt nicht an und legen es auch nicht frei.“
„Es gibt vier hauptsächliche Spaltungen von der Wirklichkeit, die wir alle in verschiedenem Maße vollzogen haben, um unser mentales Ego und unser Falsches Selbst zu erschaffen:
- Wir spalten uns von unserem Schatten ab und zeigen ein idealisiertes Selbst.
- Wir spalten unsere Gedanken von Körper und Seele ab und leben nur noch in Gedanken.
- Wir spalten Leben und Tod voneinander ab und versuchen, ohne Tod zu leben.
- Wir spalten uns von anderen ab und versuchen, andern überlegen und abgetrennt zu leben.
Jede dieser vier Illusionen muss überwunden werden. – Jede dieser Abspaltungen von der Wirklichkeit macht eine Erfahrung Gottes oder unseres Wahren Selbst weitgehend unmöglich.“
Das Wahre Selbst“
„Ihr Wahres Selbst ist jener Teil, der ewig lebt und wahrhaftig sieht. Es ist der göttliche Atem, der durch sie hindurch geht. Die Sehnsucht nach Gott und unserem Wahren Selbst ist ein und dieselbe Sehnsucht.“
„Die beiden Begegnungen mit dem Wahren Gott und dem Wahren Selbst werden häufig gleichzeitig erlebt und entwickeln sich parallel.“
„Wir haben uns immer davon gestohlen, haben uns davor gedrückt, erwachsen zu werden und uns ernsthaft auf die Suche nach unserem Wahren Selbst zu machen.“
„Gott ist nie ein Objekt, das wir finden oder besitzen können, sondern er teilt mit uns unsere tiefste Subjektivität, unser „Selbst“.“
„Menschen, die die Ganzheit finden, sind im Gleichgewicht und neigen dazu aufzublühen, im Gegensatz zu bloßen Konformisten oder bloßen Rebellen, die bei allem ständig Partei ergreifen – ohne die erforderliche Weisheit.“
„Sie können und werden immer noch Fehler machen, wenn das Wahre Selbst Ihr Zuhause geworden ist aber Sie werden sie als das ansehen, was sie sind – Fehler. Sie werden in der Lage sein, um Entschuldigung zu bitten und sich zu ändern.“
Fazit: Das Sterben eines Falschen Selbst und die Auferstehung zum Wahren Selbst beschreibt auch den Paradigmenwechsel, wie er bereits von Teilhard de Jardin erklärt wurde. Wir sind keine Menschen, die eine spirituelle Erfahrung machen, sondern spirituelle Wesen mit einer menschlichen Erfahrung.
Der Franziskaner Richard Rohr sieht die Auferstehung von Jesus als ein Symbol für diesen Paradigmenwechsel, der in Jesus Christus bereits vollzogen wurde. Der Aufruf zu seiner Nachfolge ist die Aufforderung an jeden einzelnen Menschen, diesen Paradigmenwechsel in seinem Leben zu vollziehen. Er ist auch die Grundlage für ein „Neues Bewusstsein“. Das psycho-spirituelle Modell von Roberto Assagioli, die Psychosynthese, kann als eine Art Landkarte auf dem Weg zu diesem Neuen Bewusstsein dienen. Mit den klaren Definitionen eines „Personalen Selbst“, aus dem wir auf dieser Welt leben und dem Transpersonalen Selbst, das „nicht von dieser Welt“ ist, sondern unsterblich ist, wird dies verdeutlicht. Das spirituelle Wesen ist diese unsterbliche Seele, die wir sind und nicht haben.
Mein Artikel bei Sein.de, Psychosynthese, Psychologie eines neuen Bewusstseins beschreibt das Wesen der Psychosynthese und begründet, weshalb sie als eine Orientierungshilfe zu einem Neuen Bewusstsein, den Paradigmenwechsel für den Weg zu unserem Wahren Selbst, sein kann.
Quelle der Zitate:
Werde, wer du wirklich bist
HERDER spektrum
Band 6415