Brief an Gott – Willigis Jäger

In seinem „Brief an Gott“ beschreibt Willigis Jäger seine Vorstellung von Gott in Bildern.

Willigis Jäger

Er gilt als einer der bedeutendsten spirituellen Lehrer unserer Zeit. Als Benediktiner ist er tief in dem mystisch-kontemplativen Leben des abendländischen Christentums verwurzelt und als Zen-Meister ist er auch den radikalen Weg der östlichen Leere gegangen. (Text auf Rückseite seine Buches ‚Wiederkehr der Mystik‘)

Einleitung

Glauben Sie an Gott? Wenn ja, wer oder was ist das denn, an den Sie glauben, was bedeutet für Sie Gott? – Wenn nein, wer oder was ist das denn, an den Sie nicht glauben? Haben Sie darüber klare Vorstellungen? – Ist Gott für Sie ein von Ihnen getrenntes Wesen, das als ein Gegenüber von Ihnen existiert?

Diese Frage, ob man an Gott glaubt oder auch nicht, wird so häufig gestellt ohne dabei auch zuvor darüber Klarheit zu haben, was man unter diesem Begriff „Gott“ versteht.

Willigis Jäger gibt auf diese Frage, was oder wer Gott ist, in seinem „Brief an Gott“ Antworten, die von diesem als getrenntes Wesen existierenden Gott wegführen. In seinen Bildern sind wir als Menschen eingebettet in das, was wir in unserer westlichen Welt als Gott bezeichnen. Sein Leitgedanke für seine Bilder ist, dass “ eine kosmische Weitsicht des 21. Jahrhunderts eine zeitgemäße globale Spiritualität erfordert.“ Damit ist wohl auch die Abkehr von falschen Vorstellungen von Gott gemeint.

Willigis Jäger wurde neben 50 anderen Menschen gebeten, für eine Veröffentlichung einen Brief an Gott zu schreiben. Hier der etwas gekürzte Inhalt seines „Briefes“.

‚Brief an Gott‘


Nein!
Einen Brief an Gott werde ich nicht schreiben. Wohin sollte ich ihn schicken? Er ist mir doch näher als ich mir selber bin.

Gott ist für mich wie eine Symphonie
, die als dieses evolutionäre Geschehen erklingt. Er sitzt nicht draußen. Er hat diese Symphonie nicht komponiert und spielt sie sich vor. Er erklingt als diese Symphonie. Er ist die Musik. Und ich bin der Klang einer ganz individuellen Note: einmalig, einzigartig, unverwechselbar. Gott klingt als diese Note, die ich bin.

Gott, das ist wie ein Tanz.

Ich bin ein ganz individueller Tanzschritt dieses Tänzers Gott. Tänzer und Tanzschritt lassen sich nicht trennen- Gott tanzt sich selbst in mir als dieser Tanzschritt. In dieser Zeit, an diesem Ort, in dieser Gestalt möchte Gott in mir über diese Erde gehen. Das ist der einzige Grund, warum ich Mensch geworden bin. – Meine Aufgabe ist es, ganz Mensch zu sein als Gestalt Gottes.

Eckehart sagte einmal: ‚Wenn ich nicht wäre, wäre Gott nicht. Aus Gott kann man nichts herausnehmen‘. – ‚Gott ist immer ganz auch im kleinsten Ding‘, schrieb Thomas von Aquin.

Ich schreibe Gott also keinen Brief. Ich feiere ihn als mein Leben. Gott will gelebt und nicht verehrt werden.

Der Ozean Gott.

Ich bin eine Welle im Ozean Gott. Eine Welle kann meinen, sie sei getrennt vom Ozean, sie sei etwas ganz anderes. Doch wenn sie wirklich erkennt, was sie ist, erkennt sie, dass sie Ozean ist.
Dies zu begreifen ist unsere wichtigste Lebensaufgabe. Du musst wiedergeboren werden, sagt Jesus zu Nikodemus. Du musst dein tiefstes Wesen erkennen. Vollende Deine Geburt!

Bilder der Väter.

Die Kirchenväter hatten Bilder für die Einheit von Gott und Mensch. Sie drückten diese Einheit in den Bildern von Sonne und Licht, Quelle und Bach, Wurzel und Baum aus. Ohne Sonne gibt es kein Licht, und wer nur den Baum anschaut, kann vergessen, dass er Wurzeln hat. Wer nur den Menschen anschaut, kann vergessen, dass Gott seine Wurzel ist. Hat nicht auch Jesus vorn Weinstock und den Rebzweigen gesprochen? Damit ist auch der Unterschied zwischen Gott und Mensch klar ausgedrückt. Sie sind Nicht-Zwei. Das Eine ist in allem und alles ist auch im Einen. Die Welt ist ein heiliger Organismus. Wir haben uns leider in eine Welt verrannt, in der wir Fremdlinge geworden sind.

Nicht mehr ich lebe.

Paulus sagt: ‚Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir.‘

Er stellt uns in diesem Text mit Christus gleich. Was an ihm geschehen ist, ist auch an uns geschehen. Wie Jesus Christus eins ist mit Gott, so sind auch wir in unserem tiefsten Wesen eins mit Gott. Er offenbart sich als das, was wir sind. Je mehr wir das erkennen, umso mehr werden wir auch entsprechend handeln. ‚Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott werde‘, wagte der Kirchenvater Irenäus noch zu sagen. Es ist unsere Aufgabe, die Göttlichkeit in uns zu entdecken und sie zu leben. Wir haben den Trennungsgraben zwischen Gott und Welt zu weit aufgerissen.

Klemens von Alexandrien (gest. 216) schreibt: ‚Der göttliche Logos ist Mensch geworden, damit wir von einem Menschen lernen können, wie ein Mensch vergöttlicht werden kann. ‚Es gehe darum, so schreibt er, hier in dieser irdischen Wirklichkeit bereits ‚Gott zu werden‘ und ‚als ein Gott im Fleische um herzugehen‘.

Und der Kirchenlehrer Basilius wagt den Gläubigen zu sagen: ‚Es ist uns aufgegeben, Gott gleich zu werden nach dem Vermögen der menschlichen Natur.‘

Und Eckehart predigt: ‚Jesus ist aus dem Grund Mensch geworden, dass er auch dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre und als nicht weniger …..

Denn deine menschliche Natur und seine (Jesu Christie) haben keinen Unterschied.‘ (Predigt 5)

Gott grenzt sich ein in diese unsere menschliche Natur. Wir können von ihm nur so viel erfassen, wie wir fähig sind. Unsere Empfänglichkeitsanlage muss sich weiten, damit wir mehr begreifen, von dem was wir Gott nennen.

Einheit mit Gott bedeutet einen dynamischen Lebensprozess, der auf unsere Umwandlung, auf ein umfassenderes Begreifen hin ausgerichtet ist. Eckehart würde sagen, dass wir ‚Gott in uns Gott sein lassen sollen‘.

‚Nun denn, lieber Mensch, was schadet es dir, wenn du Gott vergönnst, dass Gott Gott in dir sei?‘ (Predigt 6). Aus der Erfahrung Gottes soll ein ‚Gott-Leben‘ werden. Damit werden wir in den Alltag verwiesen, wo alle Mystik beginnt und endet. Gott lebt sich selbst in uns.

Nicht-Zwei.

Natürlich fragt sich jetzt jeder normale Mensch, ob das auch auf ihn zutrifft. ‚Ich mit all meinen Fehlern, Grenzen, Sünden. Das oben Gesagte soll von mir gelten?‘ Ja, es gilt von uns, von uns in dieser gebrechlichen menschlichen Form. Gott hat zunächst nichts mit Moral zu tun, sondern mit Sein. Je mehr ich erkenne, das ich das Sein Gottes lebe, umso mehr wird das auf mein Handeln einwirken. Ich kann also sagen: ‚Ich bin Gott‘, so wie die Welle sagen kann: ‚Ich bin Ozean‘. Dieser Satz kommt jedoch nicht aus meinem lCH (Anm.: Ego), sondern aus der Erfahrung der Einheit mit Gott.

Der Sufimystiker Rumi fragte einmal: ‚Warum wird der Pharao in die tiefste Hölle verdammt, weil er sagt: Ich bin Gott? Und warum bin ich im höchsten Himmel, wenn ich sage: Ich bin Gott?‘ Seine Antwort lautet: ‚Der Pharao spricht aus seinem Ich (Ego) und hält sich für Gott. Wenn ich, Rumi, sage: Ich bin Gott, spricht Gott selbst aus mir. Er ist mein tiefstes Wesen. ‚Nicht-Zwei‘ nennen das die spirituellen Wege des Ostens. –

Es ist uns im Religionsunterricht nicht die ganze Wahrheit vermittelt worden. Man hat uns einen Gott außerhalb gelehrt, der kontrollierend und strafend unsere Fehler registriert. Das ist ein infantiles und Gottes unwürdiges Bild. Unsere einzigartige Würde als Mensch besteht darin, dass Gott sich in uns ausdrückt.

Das Ich und unser wahres Selbst.

Was können wir also tun? Uns öffnen für diese Wirklichkeit, die wir Gott nennen, für das, was Jesus das ‚Reich Gottes in uns‘ genannt hat. Unser Ich ist eine Eingrenzung. Wenn wir diese Eingrenzung öffnen, wie es uns die Mystiker aus Ost und West gelehrt haben, erkennen wir unser göttliches Wesen. Unser ICH (Anm: Personales Selbst) ist eine gewaltige Errungenschaft im Rahmen der Evolution, aber es ist gleichzeitig eine Eingrenzung. ‚Es spiegelt uns etwas vor, was wir nicht sind‘. Unser wahres göttliches Wesen liegt sehr viel tiefer. Das Ich ist nur das Instrument auf dem der Spieler Gott spielt. Zu erkennen, dass wir in Wirklichkeit auch der Spieler sind, ist die mystische Erfahrung. Gott spielt sich selbst als uns. Teilhard de Chardin sagte einmal, dass Liebe das Personale sucht, um sich darin auszudrücken. Es ist die eine Liebe, die sich in allen Personen, sprich Formen, ausdrückt und sie zum ElNEN zusammenschließt. Wer einmal wirklich so lieben durfte, der konnte erfahren, dass es in dieser Liebe kein Du gibt.

Wenn Teresa die tiefste mystische Erfahrung mit einem Tropfen vergleicht, der ins Meer fällt, sodass man das Wasser von Tropfen von Tropfen und Meer nicht mehr unterscheiden kann, zeigt sie unser wahres Wesen auf. Wir sind Tropfen im Meer. Und wenn unser Ich zurücktritt, sind wir das Meer. Eine solche Erfahrung macht sehr demütig, doch sie macht auch unglaublich froh. Wir leben nicht unser Leben, wir leben das Leben Gottes.

Viele werden jetzt mit dem alten Vorwurf, dass dies Monismus, Emanationslehre, Gnostizismus usw. sei. Diese Bezeichnungen treffen jedoch nicht das, was wirklich gemeint ist.

Ich habe in Bildern gesprochen, die eine Erfahrung wiedergeben. Wer sie in Konzepte fasst, versucht ein Gedicht zu erklären. Ein erklärtes Gedicht jedoch hat seine Wahrheit verloren.


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