Der Elefant und die Blinden
Auf dem Weg zu einer Kultur der Bewusstheit
Thomas Metzinger
geb. 1958, lehrte Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er gehört zu den meistzitierten deutschen Gegenwartsphilosophen und gilt weltweit als einer der profiliertesten Philosophen und Kognitionswissenschaftler.
Einleitung
„Wie wäre es, wenn unser Ziel nicht gewesen wäre, auf dem Mars zu landen, sondern im reinen Bewusstsein – Wie genau sieht es aus? Gibt es eine Essenz des Bewusstseins?
Thomas Metzinger versammelt mehr als 500 Erfahrungsberichte von Meditierenden aus 57 Ländern – die erste umfassende Darstellung von Zuständen reinen Bewusstseins weltweit. Indem er kontemplative Praxis, kognitive Neurowissenschaften und die moderne Philosophie des Geistes miteinander verbindet, gelingt es ihm, die spirituelle Erfahrung aus den Händen der Esoteriker und der organisierten Religionen zu lösen. Ein notwendiges und lang erwartetes Buch.“ (Text auf der Rückseite des Buchumschlages)
„Thomas Metzinger tut etwas noch nie Dagewesenes. Er stellt die grundlegende Frage: ‚Gibt es eine Essenz des Bewusstseins?‘ – Und er beginnt sie zu beantworten, indem er sich auf die Erfahrung des reinen Gewahrseins in der Meditation konzentriert. Reines Gewahrsein ist unser bester Kandidat für die Essenz, nach der wir suchen, sagt Metzinger. Es ist die reinste Form von bewusstem Erleben, die es gibt. Reines Bewusstsein ist möglicherweise der Zustand, in dem wir die innere Natur des Bewusstseins selbst erfassen: die Konvergenzzone, in der sich spirituelle Praxis, kognitive Neurowissenschaften und die Philosophie des Geistes berühren.
Das Buch zeigt die gesellschaftliche, kulturelle und etische Relevanz einer ernsthaften Meditationspraxis auf und schlägt den Bogen zur modernen Philosophie des Geistes. Es wird Meditierenden weltweit die Gewissheit geben, dass die Bedeutung dessen, was sie tun und erfahren endlich durch die Philosophie und Kognitionswissenschaft anerkannt wird.“ (Text auf der Innenseite des vorderen Buchumschlages.)
Diese Texte machen deutlich, um was es in diesem Buch geht. Ich möchte hinzufügen, dass der Autor selbst seit seinem 16. Lebensjahr meditiert. Ein solches Buch kann nur von einem Philosophen geschrieben werden, der die eigenen Erfahrungen mit den Erfahrungen anderer bei der Meditation abgleichen kann.
Das Buch hat 950 Seiten. Diese Fülle von Text sowohl von philosophischen Erläuterungen als auch von Erfahrungen der befragten Meditierenden macht es unmöglich, dass Buch in diesem Rahmen als Ganzes zu beschreiben.
Daher habe ich mich bei den Auszügen darauf konzentriert, im ersten Teil Zitate des Philosophen und kognitiven Neurowissenschaftlers Thomas Metzinger über das reine Bewusstsein und im zweiten Teil eine Auswahl von Erfahrungsberichten von Meditierenden als Ergebnis der Befragung, wie man reines Bewusstsein bei der Meditation erlebt hat, auszuwählen.
Auszüge aus dem Buch:
Sinn und Zweck des Buches
„Dies ist ein Buch über die Phänomenologie des reinen Bewusstseins.“
„Präsentiert, wird eine Auswahl von Erfahrungsberichte aus dem „Minimal Phänomenal Experience – Projekt“ (MPE), einer interdisziplinären Forschungsinitiative, die eine Minimalmodell Erklärung des Bewusstseins anstrebt.“ – „ Im vorliegenden Fall ist das Zielphänomen das Bewusstsein selbst. Deshalb ist die Erfahrung des Bewusstseins an sich, die Erfahrung des realen Gewahrseins oder einen Bewusstseins, wie es in der Meditationspraxis auftritt, von besonderem Interesse.“
„Das Ich – Gefühl stellt keine notwendige Bedingung für Bewusstsein dar. Und tatsächlich verfügen wir inzwischen über eine Reihe empirische Belege dafür, dass es bewusstes Erleben, völlig losgelöst von jeder egoistischen Selbstwahrnehmung, gibt. Ich behaupte sogar, dass es ohne eine erlebnismäßige Erste – Person – Perspektive existieren kann.“
„Die Bewusstheit selbst kann nicht nur aus der Erste – Person – Perspektive erfahren werden, sondern auch aus einer Perspektive, die in diesem Buch als Keine – Person – Perspektive bezeichnet wird. Diese besondere Zugangsform wird unter anderem durch die bestehenden Formen spiritueller Praxis erzeugt.“
„Unser Ziel bestand nicht darin, Meditationsforschung zu betreiben. Wir wollen die subjektive Erfahrung des Bewusstseins an sich besser verstehen lernen, über die seit vielen Jahrhunderten und in unzähligen verschiedenen soziokulturellen Kontexten berichtet wird.“
„So rein wie weißer, frisch gefallener Schnee“. –Wie es die Beschreibung eines unserer Teilnehmer treffend zum Ausdruck bringt, handelt es sich beim reinen Bewusstsein um etwas absolut Ursprüngliches. Es besitzt eine offene, wache und vollkommen stille Qualität der Klarheit. Es ist das anstrengungslose Erleben des nicht- begriffliches Wissens selbst.“
Alte Begriffe, neue Begriffe: die Leerheit von „Leerheit“.
„Der Begriff des reinen Bewusstseins oder reinen Gewahrseins hat eine lange Tradition, man begegnet ihm in Schriften über Meditation und kontemplative Praxis, insbesondere in solchen der philosophischen Tradition Asiens, schon seit langer Zeit. Dort ist häufig von einer inhaltslosen Form von Erleben die Rede.“
„Im Laufe der Jahrhunderte fand die kontemplative Praxis meist vor dem Hintergrund religiöser Glaubenssysteme wie dem Buddhismus oder dem Hinduismus statt. Die Praktizierenden versuchten häufig, einen Ziel – Zustand wie Befreiung oder Erwachen zu erreichen. Dementsprechend wurden die phänomenologischen Taxonomien solcher Zustände oft von traditionellen metaphysischen Glaubenssystemen und einem sehr alten, kulturellen Kontext geprägt.
In den letzten 50 Jahren ist jedoch eine historisch neue Situation entstanden. Millionen von Praktizierenden in der westlichen Gesellschaft meditieren, regelmäßig und täglich, aber viele von ihnen (45,6 % unserer Teilnehmer) tun dies innerhalb eines säkularen Kontexts. Sie bezeichnet sich selbst als spirituell, aber nicht religiös, oder als spirituell, aber mit keiner Organisation verbunden.
Machen solche Menschen systematisch andere Erfahrungen als diejenigen, die in einem religiösen Rahmen meditieren? Gibt es einen gemeinsamen Nenner, ein verbindendes Element über verschiedene kulturelle Kontexte hinweg?
Was die Möglichkeiten zur Beantwortung solcher Fragen angeht, so ist die derzeitige Situation in der Geschichte beispiellos. Uns stehen die mächtigen Werkzeuge der modernen Wissenschaft zur Verfügung, und wir verfügen über neue, theoretische Ansätze für das Problem des Bewusstseins. Zum ersten Mal meditieren Millionen von Menschen regelmäßig in verschiedenen Ländern und Kulturen auf der ganzen Welt. Dies öffnet uns die Tür zu einem neuen, ideologiefreien und radikal erfahrungsbasierten Ansatz für die Phänomenologie des Bewusstseins an sich. Es gibt eine historische Chance für einen Neubeginn.“
„Ich werde die Begriffe reines Bewusstsein und reines Gewahrsein synonym verwenden. In der Geschichte der Menschheit sind bereits viele enge verwandte Begriffe geprägt worden, die alle in direktem Zusammenhang mit der Erfahrung des reinen Bewusstseins stehen.“
„Eines der interessantesten Ergebnisse ist die Fülle an Belegen für die Existenz eines nicht-egoistischen Selbstbewusstseins. Unsere Daten deuten darauf hin, dass es tatsächlich so etwas wie Selbsterkenntnis aus der Keine – Person – Perspektive geben könnte – und wenn etwas nach philosophischer Relevanz klingt, dann ist es das.“
Deshalb ist meine Arbeitshypothese, dass die Erfahrung des reinen Gewahrseins – von der Millionen von Meditierenden seit Jahrhunderten berichten und die immer noch an jedem Tag unzählige Male rund um den Globus auftritt – möglicherweise sogar tatsächlich die MPE
(Minimal-Phänomenal-Experience) ist. Aber stimmt das auch? Ist reines Gewahrsein wirklich die einfachste Art von bewusste Erfahrungen, die wir kennen?“
„Kennen Sie die alte Geschichte vom Elefanten und dem Blinden? Es ist eine traditionelle philosophische Fabel. Sie stammt aus dem alten Süd-Indien und hat die Jahrhunderte überdauert. Ein König lädt eine Gruppe von Menschen ein, die alle blind auf die Welt gekommen sind und noch nie einem Elefanten begegnet sind. Vom König werden sie gebeten, das Wesen des Elefanten nur durch Berührungen zu erschließen. Jeder aus der Gruppe ertastet daraufhin einen anderen Teil des Elefantenkörpers: den Rüssel, den Schwanz, eine Flanke, einen Stoßzahn. Dann beginnen die Blinden über ihre Eindrücke zu sprechen. Sie beschreiben Elefanten als eine dicke Schlange oder als ein Seil, als eine Bürste oder als eine undurchdringliche Wand, als etwas Hartes, Glattes oder Spitzes. Wie sollten sie sich jemals darüber einigen können, ob sie sich alle auf ein und dasselbe Phänomen in der Außenwelt beziehen? Unerwarteterweise kamen in unserem Fall nun weit über 1000 „Blinde“ zusammen, um uns – dem König der Bewusstseinsforschung – bei der Arbeit zu helfen.“
„Natürlich beruhen die Antworten der 1403 „Blinden letztlich“, nur auf Worten, genau wie präzise statistische Auswertungen lediglich aus Zahlen bestehen. Beides ist wichtig und kann zu überraschenden neuen Entdeckungen führen, doch keines von beiden ist die Realität selbst. Wenn irgendetwas in der philosophischen Phänomenologie als das Paradebeispiel für Unbeschreiblichkeit gelten kann, dann ist es sicherlich die Erfahrung des reinen Bewusstseins, der selbsterkennenden, zu sich erwachten Leerheit.“
Das Buch hat 34 Kapitel. Jedes Kapitel trägt die Überschrift einer bestimmten Erfahrung, die wie bei den Körperteilen des Elefanten nur eine Teil-Erfahrung des reinen Bewusstseins, des ganzen Elefanten sind. Ich kann in diesem Rahmen nur Auszüge aus einigen Erfahrungen hier wiedergeben. Später werde ich jedoch alle Erfahrungen, die zu einer Überschrift für ein Kapitel wurden, aufführen.
Im Folgenden die Erfahrungen von Meditierenden:
Nicht-Identifikation (Kapitel 8)
„Was genau bedeutet es, dass das Bewusstsein oder die Wahrnehmung „rein“ ist? Wenn wir diese Frage beantworten wollen, können wir an verschiedenen Stellen ansetzen. Oft stehen am Anfang alte religiöse Glaubenssysteme oder grandiose philosophische Theorien über das angebliche Wesen des Bewusstseins‘. Aber selbst in diesem frühen Stadium wird bereits deutlich, dass es mehr als eine Antwort auf unsere Ausgangsfrage gibt – zumindest, wenn wir von der tatsächlichen Phänomenologie der meditativen Erfahrung selbst ausgehen.
Die erste, klassische und ziemlich radikale Antwort lautet: „Das Bewusstsein ist immer dann rein, wenn es keinerlei andere Erfahrungsinhalte gibt, wenn die Qualität der Bewusstheit selbst die einzige Art von Phänomenen im Charakter ist, an den man sich erinnern und berichten kann.
Auf die phänomenologische Frage, worin die Reinheit des reinen Bewusstseins eigentlich besteht, gibt es auch noch eine zweite, ebenso kanonische Antwort. Sie assoziiert die Reinheit mit phänomenalen Qualitäten wie Frieden und tiefer, grenzenloser Stille, also mit der Abwesenheit jeglichen geistigen Konflikts, jeglicher Form von mentaler Störung. Unsere phänomenologischen Daten bestätigen, was schon seit Jahrhunderten bekannt ist: Bewusstsein kann ganz ohne Gedanken existieren. Vereinfacht formuliert bedeutet reines Bewusstsein hier die vollständige Abwesenheit jeglicher Form diskursiven Denkens, was auch Erinnerungsvorgänge, Zukunftsplanung, Tagträume und ziellos umherschweifende Gedanken einschließt. Eine bekannte Formel lautet zum Beispiel, dass reines Bewusstsein „transzendentales Bewusstsein“ im Sinne eines Zustands ist, der das Denken „transzendiert“ hat. Das bedeutet, dass wir einfach in einem kristallklaren und gedankenfreien Zustand verweilen – dem Zustand, in dem wir die ruhevolle Wahrheit selbst erfahren.
Die dritte dieser Art von Reinheit lautet „Klarheit“ oder „klare Wachheit“ und damit die Erfahrung eines klaren und hindernisfreien Wissensraums.
Diese dritte Version ‚Reinheit‘ bezieht sich auf eine nicht – begriffliche, aber vollständig bewusste Erfahrung der eigenen epistemischen Kapazität als solcher, einen Raum potentieller Wissenszustände, vollständig frei von
Vorannahmen oder Erwartungen, einen inneren Raum, der weit, offen und klar zugleich ist. Hier ist das Bewusstsein rein in dem Sinne, dass es weiträumig, umfassend und aufnahmebereit ist. Es ist der luzide, offene Raum, in dem bewusstes Erleben überhaupt erst stattfinden kann. Wie der wolkenlose Himmel ist dieser Raum nicht durch Gedanken getrübt.“
„Als Abkürzungen für die verschiedenen Möglichkeiten, den Begriff des reinen Bewusstseins zu interpretieren, können wir beginnen, von P1 (kein Inhalt), P2 (keine Gedanken), P3 (Klarheit), P4 (abstrakte Körper – Erfahrung) und so weiter zu sprechen.“
Früher oder später wird jedoch jeder Meditierende erkennen, dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, reines Bewusstsein zu erfahren. Und an dieser Stelle wird es interessant. Was passiert, wenn Sie in einem tiefen und stabilen Zustand von ruhevoller Wachheit sitzen und dann ganz langsam die Augen öffnen, um die Welt mit einem klaren und gedankenlosen Geist zu sehen?
Was genau geschieht, wenn Sie in einem Zustand reflexiv bewusster Achtsamkeit Klänge hören, die aus der Stille auftauchen? Sind diese Klänge phänomenologisch gesehen vielleicht manchmal aus Stille gemacht? Und was passiert, wenn in dieser kristallklaren Stille ein einzelner Gedanke entsteht,, seinen Inhalt entfaltet und sich schnell wieder auflöst?
Eine weitere phänomenologische Leseart des Begriffs ‚reines Bewusstsein‘ lässt sich daher unter der Überschrift ‚Abwesenheit von Identifikation‘ erklären. Schauen wir uns einige Erfahrungsberichte an, die diese letzte Version illustrieren:
„Ich habe dieses Gewahrsein als einen wichtigen, tiefen Bewusstseinszustand erlebt, der von alleine kam und nach einer Weile (4 Minuten, wenige Stunden) wieder verging. Dabei habe ich mich als vollkommen losgelöst von meinen Gedanken und Empfindungen wahrgenommen. Diese haben immer noch existiert und ich habe sie immer noch wahrgenommen, war aber nicht mehr mit ihnen identifiziert. Vielmehr war ich in meinem Gewahrsein reduziert, das diese Gedanken und Empfindungen wahrgenommen hat, ohne selbst etwas zu empfinden. Insofern würde ich es als „rein“ beschreiben..“
„(…) Dennoch fühlte ich mich einfach als ich selbst, aber nicht als irgendetwas Bestimmtes, einschließlich eines Menschen oder einer individuellen Person. In der Tat wusste ich nicht einmal, dass ich mich in einem solchen Zustand befand, bis der Verstand plötzlich einige Gedanken produzierte, die ich beobachtete, als wären sie ein Phänomen außerhalb meiner selbst. Ich konnte die Qualität dieser Gedanken hören, als gehörten sie zu einer Person, die ich erkannte, mit der ich mich aber nicht mehr identifizierte.“
„Manchmal werden solche Erfahrungen hinterher als ein Kontakt mit dem „Wahren Selbst“ beschrieben.“
Ende der Berichte!
Ich habe dieses Kapitel, das von Erfahrung „Nicht-Identifikation“ als Beispiel für die Beschreibung jedes einzelnen des „reinen Bewusstseins“ handelt, gewählt. Dieses Kapitel hat insgesamt 25 Seiten.
Im Folgenden werde ich einige Kapitel, also verschiedene Erfahrungen des reinen Bewusstseins, über die die Befragten berichtet haben, als Beispiele aufführen:
Kapitel 1: Entspannung
„Eine tiefes Gefühl von Entspannung ist eines der Merkmale, die am häufigsten mit der Erfahrung des reinen Bewusstseins einhergehen.“
Berichte von Meditierenden:
„Ein Gefühl der Leichtigkeit und der Präsenz mit Wellen von Glückseligkeit, mühelos und fast ohne Gedanken.“
„(….) Meine Empfindungen werden weich und subtil. Mein Körper wird von dieser Sanftheit durchflutet, entspannt sich, Muskelverspannungen lösen sich… bis ich ihn kaum noch wahrnehme und in einen tiefen Raum der Stille eintrete.(….)“
Kapitel 2: Frieden
„Frieden ist die Abwesenheit von Konflikten. Die Phänomenologie des Friedens ist die Abwesenheit aller Formen geistiger Konflikte auf der Ebene des bewussten Erlebens – zum Beispiel das Fehlen von miteinander konkurrierenden Wünschen, emotionaler Unruhe und gedanklicher Zersplitterung.“
Berichte von Meditierenden:
(…) Ich wusste, dass ich meditiere, fühlte aber auch einen wunderbaren Frieden und eine vollkommene Ruhe über mich kommen. (…)
(…) Es war nichts weiter vorhanden als das Hier und Jetzt und letztlich ein tiefes Gefühl von Frieden und stiller Freude. (…)
Alle Grenzen werden aufgehoben. Atem geschieht. Tiefe Ruhe und Frieden.
Ich erlebe im Alltag eine veränderte Form der Wahrnehmung von Menschen und Dingen, die Durchlässigkeit von allem, die sich in kurzen Momenten der Meditation dann in eine allumfassende Stille und in Frieden verwandeln.
Kapitel 3: Stille
„Die Erfahrung von Stille und gelassener Ruhe ist ein zentraler Aspekt der Erfahrung des reinen Gewahrseins.“
„Die spezifische Phänomenologie der Stille, die in einer Meditationspraxis entstehen kann, ist von großer Schönheit und Tiefe.“
Berichte von Meditierenden:
In der Stille ist eine Geborgenheit darin und eine süße, stille Ruhe. Es ist nichts mehr und alles da, eine Fülle, ein Gesättigtsein, ein Sein-Dürfen.
Neutraler Zustand in aufmerksamer Stille. Entweder in Gedanken vertieft oder in absolut neutralem Raum ohne Gedanken und Aktivitäten.
(…) Meine Erlebnisse würde ich am ehesten mit Begriffen beschreiben wie Anhalten von Zeit, Wahrnehmung von Raum ohne Zeit, keine Gedanken, absolute Ruhe, totale Zufriedenheit, nichts wollen, Wachsein, Ausdehnung – absolute Stille, weder Nichts noch Etwas, keine Bewertung! (…)
Kapitel 5: Wachheit
„Eine klassische Definition des reinen Gewahrseins lautet: ruhevolle Wachheit.“
„In der Meditation kann der phänomenale Charakter von Wachheit viel dominanter sein als in gewöhnlichen Zuständen des Wachlebens. Sie ist mühelos, ruhig und vollkommen nicht-begrifflicher Natur.“
Berichte von Meditierenden:
Ich befinde mich in einem hellwachen Zustand. Ich bin mir des gegenwärtigen Augenblicks besonders stark bewusst. Es ist, als wäre ich ein Wachhund. Alle meine Wahrnehmungen scheinen verstärkt zu sein. Ich bin bei Bewusstsein, tue aber nichts, außer Geräusche, Empfindungen und Gerüche in meinem Körper wahrzunehmen. Die Zeit scheint stillzustehen.
(…) Bei Ganzheitserfahrungen während der Meditation befinde ich mich in einem Zustand innerer Stille bei gleichzeitiger erhöhter Wachheit.(…)
Kapitel 6: Klarheit
„Klarheit wird mit Qualitäten wie Leichtigkeit und Weite oder Subtilität und Tiefe beschrieben, des Weiteren ein anhaltender Zustand des Gleichgewichts, ein Gefühl wacher Präsenz, eine ruhige und zeitlose Form der Stille, eine sanfte Form von Sinnesschärfe oder als eine Form von Wahrnehmung ohne Zentrum oder Grenzen.“
Berichte von Meditierenden:
Klarheit, alles ist genauso, wie es ist. Ich brauche nichts zu verändern. Der Zustand bildet den Hintergrund zu allem Erlebbaren.
(…) Klar, wach, präsent, unbewegt, dabei sich ganz feiner Gedanken bewusst. Wie ein Vollmond, der von einem ganz dünnen Schleier umhüllt ist. (…)
(…) Klares, reines Bewusstsein, inhaltslos, leer, still, ruhig, gewahr, endlose Tiefe – meistens in den Morgenstunden.(…)
(…) Ich kann reine Klarheit durch das Bewusstsein der Präsenz des Seins erfahren, ohne visuelle Wahrnehmung (…)
Kapitel 11: Verbundenheit
Nach ihrer Erfahrung des reinen Gewahrseins befragt, berichten viele Meditierende von einer Erfahrung der Verbundenheit, beispielsweise einem Gefühl von Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit mit der Natur oder einer direkten, nicht-begrifflichen Einsicht in die gegenwärtige Abhängigkeit aller Phänomene. Dazu kann auch eine tiefe Verbundenheit mit sich selbst und anderen empfindungsfähigen Lebewesen gehören.
Berichte von Meditierenden:
Es ist wie ein Gefühl, von sich selbst zurückzutreten und gleichzeitig mit allem verbunden zu sein. Harmonisch und friedvoll, schwebend, leicht und natürlich.
(…) Der Geist ist ruhig, und ich spüre, wie ich Teil vom großen Ganzen bin, verbunden mit allem. Alles ist verbunden.
(…) Einfach im Hier und Jetzt zu sein, verbunden sein mit allem, was ist. (…)
Kapitel 13: Nach Hause kommen
„In vielen phänomenologischen Berichten wird der Eintritt in die Erfahrung des reinen Gewahrseins verglichen mit ‚nach Hause zu kommen‘ oder sich an etwas zu erinnern, was schon immer da war.“
„Darüber hinaus weisen einige Praktizierende darauf hin, dass es sich beim ‚Nach Hause Kommen‘ viel mehr als um ein tiefes Gefühl handelt. Es ist eher so etwas wie ein Seins-Zustand.“
„In bestimmten kontemplativen Traditionen wurde diese Erfahrungsqualität auf begrifflicher Ebene als das ‚Erkennen der eigenen Natur‘ interpretiert.“
Berichte von Meditierenden:
(…) Reines Gewahrsein ist die Realisation, nach ewigem Suchen endlich nach Haus gefunden zu haben.(…)
(…) Es ist so klar, dass dies unser natürlicher Zustand ist, denn er fühlt sich so vertraut an. (…)
Meine Erfahrung(en) des reinen Bewusstseins ist/sind wie eine Heimkehr in mein wahres Zuhause, meinen Ursprung. Von dort aus lade ich mich auf, regeneriere ich und lasse die Last innerer Konflikte entweichen. (…)
Kapitel 26: Non-Duales Sein
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Erfahrung reinen Bewusstseins zu vermitteln. Eine weit verbreitete Strategie besteht darin, es nicht als reines Bewusstsein sondern als reines Sein zu bezeichnen – zum Beispiel als eine non-duale phänomenale Erfahrung der puren Existenz an sich. Oder wie es ein Meditierender formuliert: Es ist Ist-heit, reine Ich-bin-heit. Es ist die
Wesensnatur der Existenz.“
Berichte von Meditierenden:
In der Meditation erlebe ich ? manchmal „einfach sein“, ohne weitere Modalitäten , reines Sein an sich. Dazu kann ich weiter nicht viel sagen, weil es dazu nichts an Beschreibungen zu sagen gibt. Gewissermaßen die Wahrnehmung der eigenen Existenz ohne Beobachterrolle und ohne Gedankenaktivität.
Es ist ein Bereich vollkommener Stille. Einfachheit. Nichts ist da, was ausgedrückt werden, mitgeteilt oder bewertet werden müsste. Einfaches Sein.
(…) Tiefe Stille. Empfindung, einfach reines Sein zu sein, völlig jenseits jeglicher Individualität. (…)
Kapitel 29: Das wahre Selbst
„Wann immer Sie in Ihrem Bewusstseinsfeld von einem globalen Modus des ‚Ich bin das erkennende Selbst‘ in einen anderen Modus wechseln – sagen wir zur Erfahrung ‚Ich bin ein selbst erkennendes Bewusstseinsfeld‘ – kommt auch die ‚Bin-Einheit‘ (das Gefühl des Seins) mit in den neuen Zustand. Können Sie diese phänomenologische Tatsache in Ihrer eigenen Erfahrung entdecken? Sie kann nicht gelehrt werden. Sie können es nicht erkennen. Sie müssen es sein.“
Berichte von Meditierenden:
(…) Mein Lieblingswort: Glückseligkeitsbewusstsein. Ich identifiziere mich damit. Ich bin reines Bewusstsein, aber nicht mein Körper. Und es ist die gleiche Erfahrung in und außerhalb der Meditation seit meiner Kindheit. Aber ich nehme dieses Sein immer klarer wahr.(…)
Ich erfahre mein Selbst als reines Bewusstsein, in dem? ich einfach verweilen darf. Ein Zustand von Freiheit, trotz geistiger und körperlicher Begrenzungen.
Es war, als würde alles verschwinden, Körper, Geist, Raum und Zeit, aber das Bewusstsein selbst war immer noch präsent. (…)
(…) Der Wegfall der Identifikation mit der begrenzten Person. Nicht ich bin in der Welt – die Welt ist in mir! Ich bin der Raum, in dem alles erscheint. Das ist eine Erfahrung, die bis heute geblieben ist.(…)
Die fehlenden 24 nicht beschriebenen Kapitel mit ihren Überschriften ( Erfahrungen) sind:
Dichte – Stimmigkeit – So-heit – Präsenz – Der natürlich(st)e Zustand- Es gibt nicht mehr zu tun – Freude, Ehrfurcht, Glückseligkeit und Dankbarkeit – Einfachheit, das Nichts und Abwesenheit – Leerheit und Fülle – Heiligkeit – Zeugenbewusstsein – Reines Bewusstsein im traumlosen Tiefschlaf – Reines Gewahrsein und luzides Träumen – Von der Zeitlosigkeit zum zeitlosen Fließen – Raumerleben ohne Struktur, Mittelpunkt ohne Peripherie – Körperlose Erfahrung – Ego dissolution: Sich in das phänomenale Feld hinein auflösen – Nicht-Duales Sein: Einheit – Non-duales Bewusstsein: Einsicht – Transparenz, Transluzenz und Virtualität – Das wahre Selbst – Reines Gewahrsein erkennt sich selbst – Es ist keine Erfahrung – Meditation und Nicht-Meditation – Zeitlose Kontinuität – Der Elefant: Was ist reines Bewusstsein?
Diese Fülle von Erfahrungen des reinen Bewusstsein mit philosophischer Analyse und den Berichten von Meditierenden erklärt, warum dieses Buch so viele Seiten hat, nämlich 950.
Mein Fazit:
Dieses Buch leitet eine neue Phase der Bewusstseinserforschung ein. Bisher war das Bewusstsein immer mit einem Inhalt gefüllt, der in unserem Gehirn gespeichert ist. Die Befragung der Meditierenden bestätigt, dass es ein reines Bewusstsein gibt, das nicht nur ohne Inhalt ist, sondern auch nicht an eine Person gebunden ist, das trans-personal ist. Es sprengt den dualen Charakter des bisherigen Bewusstsein-Verständnisses. Diese reine Bewusstsein ist der Kern von Spiritualität. „Reines Bewusstsein ist möglicherweise der Zustand, in dem wir die innere Natur des Bewusstseins selbst erfassen, die ‚Konvergenzzone´, in der sich spirituelle Praxis, kognitive Neurowissenschaften und die Philosophie des Geistes berühren,“ so der Text auf der Umschlagseite.
Damit sind Wissenschaft und Spiritualität sich sehr nahegekommen. Sie haben mehr gemeinsam als die institutionellen Religion mit Spiritualität. Die Theologie und Dogmatik der Religionen basiert immer noch auf einem Dualismus, in dem Gott und der Mensch als etwas Getrenntes betrachtet werden. Sie verhindern damit die Erfahrung von Spiritualität, die im Kern das ist, was Jesus meint, wenn er sagt „Ich und der Vater sind eins.“ Dieses Eins-Sein gilt für alle Menschen.
Statt dem von Descartes bekannten Ich denke, also bin ich, welches bisher die Wissenschaft geprägt hat, könnte man nun sagen: Ich nehme wahr, also bin ich. Wie aber die Berichte von Meditierenden deutlich vermitteln, ist da niemand , der etwas gewahr wird. Wir sind reines Gewahrsein. Und dieses Gewahrsein hat keinen Beginn und kein Ende. Es ist ewig. So ist das, was wir als Tod bezeichnen, nichts anderes, als dass diese Essenz, „reines Gewahrsein (Bewusstsein)“, den Körper verlässt und in die Verwandlung geht. Sie erwacht in einer anderen Form, was man wiederum auch als eine Geburt bezeichnen kann. So finden Tod und Geburt zur gleichen Zeit statt.
Das Buch:
Weiterführende Informationen
Man kann Thomas Metzinger auf Youtube persönlich kennenlernen und erleben. Hier die Links: