Seele und Seelenbewusstsein

Der Mensch ist eine Seele und hat einen Körper

Roberto Assagioli

Einleitung

Die Seele hat keine große Bedeutung in unserer Gesellschaft. Der Verstand und das Denken bestimmen meistens das, was in unserem Bewusstsein vor sich geht. Dabei geschieht das meiste aus unbewussten Reaktionen zu Impulsen, die wir von unserer Umwelt erhalten. Die meisten reagieren überwiegend statt bewusst zu agieren. Das führt zu einem Leben wie in einem Roboter. Man funktioniert und leistet etwas, aber das Leben der Seele, der Kern unseres menschlichen Seins, findet nicht statt. Kehrt man von einem arbeitsreichen Tag zurück, nimmt man sich auch keine Zeit für das, was in seinem Innern, der Seele vor sich geht. Man dreht das Fernsehen an oder konsumiert etwas anderes zur Ablenkung. Die Folge ist ein oberflächliches Dasein, in dem man selten Ruhe, erst recht keine Stille findet, die Voraussetzung ist, um mit der Seele in Kontakt zu kommen.

Ich empfehle jedem, der dieses liest, sich zunächst einmal bewusst zu machen, was für ihn Seele bedeutet. Hat sie überhaupt eine Bedeutung? Oder verbindet man das Wort Seele mit Psyche, was häufig der Fall ist?

Je nachdem, was man für sich erkennt, kann es unterschiedlich schwierig sein, sich auf die folgenden Aussagen über die Seele einzulassen. Um sie aufnehmen zu können, ist es notwendig, dass man diese Zitate nicht mit dem „Kopf“, dem Verstand, sondern mit dem Herzen liest. Die Worte werden dann weniger „verstanden“, sondern man empfindet eine innere Resonanz, die ihre eigene Qualität hat. Dies ist ähnlich wie mit der Poesie oder der klassischen Musik. Sie können nicht „verstanden“ werden. Es ist die Resonanz dazu, die Freude beim Lesen oder Hören macht.

Die folgenden Zitate stammen aus einem Buch, des irischen Philosophen und Poeten Jon o‘´Donohue. Es heißt Anam Cara – Seelenfreund, das zu einem weltweiten Bestseller wurde und auf der keltischen Spiritualität basiert, in der die Seele eine bedeutende Rolle spielt.

Der Körper wohnt in der Seele.

Die abendländische Kultur hat seit Jahrhunderten immer wieder versucht, uns zu vermitteln, die Seele wohne im Leib.
Wenn ein Mensch starb, flog die Seele, wie man glaubte, davon und der leere Körper fiel in sich zusammen.

Diese Auffassung von der Seele scheint absolut falsch zu sein. Tatsächlich ist das Verhältnis von Körper und Seele gemäß
der älteren und archaischen Betrachtung genau umgekehrt:
Der Körper wohnt in der Seele. Unserer Seele reicht weit in die Welt und gleichzeitig durchdringt sie unseren Körper und unseren Geist.
Unsere Seele besitzt weit empfindlichere Antennen als unser Verstand oder unser Ich.

Das Wesen der Seele

Der Körper ist in der Seele und die Seele durchdringt uns völlig. Deshalb ist jeder von uns von einem geheimen Seelenlicht durchdrungen.

Es gibt keinen Käfig für die Seele. Die Seele ist ein göttliches Licht, das in uns und in andere hineinfließt.

Die Seele ist unser intimster Bereich, Begegnen wir einem Menschen, so kommen wir mit seiner Seele eher in Berührung als mit seinem Körper.
Aber erst, wenn wir Seele und Körper als Einheit begegnen, treten wir ganz in die Welt des anderen ein.

Die Seele braucht die Liebe ebenso dringend, wie der Körper Luft zum Leben benötigt. In der Wärme der Liebe kann die Seele sich selbst sein. Alle Möglichkeiten unseres Selbst in unserem Menschenschicksal schlummern in unserer Seele.

Aus Erde gemacht, sind wir Seelen in Erd-Gestalt. Es ist für uns daher unerlässlich, dass wir uns ein Gespür für den Rhythmus unseree inneren Erdstimme und Sehnsucht bewahren. Aber diese Stimme ist in der modernen Welt nicht mehr hörbar.

Wir sind uns des Verlustes nicht einmal bewusst. Infolgedessen ist der Schmerz unserer spirituellen Verbannung
umso intensiver, denn zum größten Teil können wir ihn nicht einmal verstehen.

Das Seelen-Bewusstsein basiert auf einer natürlichen Verbundenheit mit dem Universum, mit der Natur, mit Gott.
In diesem Bewusstsein wird das göttliche Sein in der Seele erfahren. Das Ego Bewusstsein wird damit überwunden, weil wir uns nicht mehr als von der Natur getrennte Wesen wahrnehmen, sondern als Teil einer größeren Wirklichkeit, die wir als Natur, Universum oder göttliches Sein bezeichnen können.

In der Seele befindet sich eine Laterne, die in unsere Einsamkeit leuchtet. Die Einsamkeit muss nicht einsam bleiben. Sie kann sich ihrer leuchtenden Wärme öffnen. Die Seele verklärt alles, weil sie göttlicher Raum ist.

.Wenn wir unsere Einsamkeit vollständig bewohnen und bis an ihre äußerste Grenze der Isolation und Verlassenheit gehen, werden wir feststellen, dass uns in unserem Herzen weder Einsamkeit, noch Leere, sondern Intimität und Geborgenheit erwartet.

In unserer Einsamkeit werden wir dem Wesen der Geborgenheit und Zugehörigkeit häufig näher sein, als wir es in der Gesellschaft
von Menschen jemals sein könnten.

Die Sinne sind die Schwellen der Seele. Zu lange haben wir geglaubt, das Göttliche sei außerhalb von uns. Dieser Irrglaube hat unsere Sehnsucht auf katastrophale Weise überbeansprucht. Dies ist umso trauriger, weil es gerade die Sehnsucht ist, die uns Menschen heiligt.

Das Schönste, was wir überhaupt besitzen, ist unsere Sehnsucht. Diese innere seelische Kraft ist spiritueller Natur und besitzt
eine herrliche Tiefe und Weisheit. Wenn wir unsere Sehnsucht auf eine ferne, äußere Gottheit richten, setzen wir unser Vermögen, uns zu sehnen, einer unerträglichen Belastung aus.

So geschieht es oft genug, dass die Sehnsucht mutig hinausstrebt, auf das ferne Göttliche zu, aber dann überfordert in sich zurückfällt und zu Zynismus, Leere oder Negativität wird. Dies kann unsere Sensibilität völlig zu Grunde richten.

Wir müssen unsere Sehnsucht in keiner Weise unter Druck setzen. Wenn wir dann glauben, dass der Körper in der Seele lebt,
dass die Seele geweihter, göttlicher Boden ist, dann ist es das Göttliche vollkommen gegenwärtig –so nah wie unser eigenes Selbst.

Wir bleiben schlicht und einfach deswegen von der reichen Welt der Seele ausgeschlossen, weil wir nicht bereit sind.
Unsere Aufgabe ist es daher, unser Herz und unseren Geist zu verfeinern.

Unser Mangel an Bereitschaft wird oft durch Blindheit verursacht, durch Angst und mangelhaftes Selbstwertgefühl.
Sobald wir bereit sind, werden uns die zustehenden Segnungen zuteil, und in diesem Augenblick wird die Pforte des Herzens zur Himmelstür.

Einer der größten Konflikte unseres Lebens ist der Kampf zwischen dem Ich (Ego) und der Seele.
Das Ich (Ego) ist gefährdet, ehrgeizig, getrieben und ständig unter Druck, während die Seele eher zum Überraschenden, zur Spontanität
und zu allem Neuen und Frischen neigt.
Sie meidet alles Müde, Abgenutzte und Abgedroschene.

Die Ur-Energie der Seele wartet nur darauf, um uns in einer wunderbaren Wärme und Herzlichkeit willkommen zu heißen.
Einer der Gründe, warum wir auf die Erde geschickt wurden, ist ja gerade, die Verbindung zu uns selbst herzustellen,
diese innere Freundschaft zu schließen.

Die Wiedergewinnung der Seele ist daher die entscheidende Voraussetzung für die heilende Aufhebung
unseres Getrenntseins.

Segen der Einsamkeit

Mögest du in deinem Leben die Gegenwart, die Kraft und das Licht deiner Seele entdecken.
Mögest du erkennen dass du niemals allein bist, dass deine Seele dich durch ihren Glanz und ihre Zugehörigkeit aufs Innigste mit dem Rhythmus des Weltalls verbindet.
Mögest du deine Individualität und Verschiedenheit achten.
Mögest du erkennen dass die Gestalt deiner Seele einzigartig ist, dass dir hier ein besonderes Schicksal beschieden ist, dass hinter der Fassade deines Lebens sich etwas Schönes, Gutes und Ewiges ereignet.
Mögest du lernen, dein Selbst mit der gleichen Freude, dem gleichen Stolz und der gleichen Wonne zu betrachten, mit dem Gott dich in jedem Augenblick gewahrt.

Fazit

So wie das Wort nicht der Baum ist, so ist das Wort Seele nicht die Seele. Sie muss erfahren werden, in Augenblicken, in denen der innere Lärm der Gedanken zur Ruhe kommt und Stille einkehrt. Dort ist der Raum der Seele.Texte wie diese können die Seele dann berühren und etwas auslösen, was eine innere Freude bereitet. Vielleicht war diese innere Freude beim Lesen dieser poetischen Sprache gelegentlich spürbar.

Quelle der Zitate:

Anam Cara / Seelen-Freund
Autor des Buches: John o`Donohue
dtv-Verlag ISBN 978-3-423-34639-9

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