Meditation-Zähneputzen fürs Gehirn – H. Meesmann

 

Bei dieser Anlage geht es um einen Artikel, der in der Zeitschrift „Publik Forum“ im Dezember letzen Jahres erschienen ist, der über einen Kongress unter dem Titel „Meditation und Wissenschaft“ berichtet, der in Berlin stattgefunden hat.

Meditation: Zähneputzen fürs Gehirn

(Quelle: Publik-Forum, kritisch – christlich – unabhängig, Oberursel, Ausgabe 24/2010.)

Die verschiedenen Wege zu mehr Achtsamkeit haben viele positive Auswirkungen, sagen Wissenschaftler. Manche sprechen sogar von einem
»Kulturwandel«. Eindrücke von einem Kongress

Von Hartmut Meesmann

Nein, Meditation sei kein Opium fürs Volk, sagt Harald Walach. Im Gegenteil. Für den Gesundheitswissenschaftler von der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder sind Achtsamkeitsübungen wie Meditation, Yoga oder autogenes Training ein »Hebel für Veränderungen«. Auf dem Kongress »Meditation und Wissenschaft«, der kürzlich über dreihundert Interessierte – Christen, Buddhisten, Atheisten,
Esoteriker – nach Berlin lockte, wurde der Wissenschaftler ganz euphorisch: »Wer viel meditiert, der fühlt eine größere Verbundenheit zu anderen Menschen, der spürt, wie schlecht es ihm möglicherweise am Arbeitsplatz geht, der möchte seine Situation verändern.«

Deshalb propagiert der 53-Jährige zum Beispiel Achtsamkeitskurse in den Betrieben. Nicht damit die Menschen dort den Herausforderungen besser gewachsen
sind, nein: »Wir müssen die Arbeitskultur verändern«, sagt er, hin zu mehr Kooperation, Toleranz, ethischem Verhalten. Einen entsprechenden Versuch hat es auch schon gegeben. »Doch die betreffende Firma hat uns nicht wieder eingeladen«, berichtet Harald Walach dem Auditorium halb scherzend, halb betroffen.
Für diesen Mann hat das Meditieren fast schon Erlösungscharakter. Er erhofft und verspricht sich von der Ausbreitung spiritueller Achtsamkeit nicht weniger als einen »Kulturwandel«.

Abbau von Stress

So weit wollen nicht alle gehen, die sich mit Achtsamkeitsmethoden beschäftigen – sei es als Praktiker, sei es als untersuchende Wissenschaftler oder
beides. Fest steht, dass die vielfältigen Formen der Meditation mit oder ohne Bewegung – ob Tai-Chi, Yoga, autogenes Training, das buddhistische Zazen,
die Transzendentale Meditation oder das christliche Herzensgebet – positive Auswirkungen auf jene haben, die diese Methoden praktizieren. Das haben
empirische Studien ergeben, die in den letzten zehn Jahren sprunghaft zugenommen haben.

Allein die Wirkungen des im medizinischen Umfeld verbreiteten Programms »Stressbewältigung durch Achtsamkeit« (Mindfulness Based Stress Reduction/MBSR)
werden nach Auskunft der Veranstalter des Berliner Kongresses – der Oberberg Stiftung und der Identity Foundation – derzeit von rund vierzig Studien jährlich untersucht.
Die Teilnehmer dieses achtwöchigen Kurses erlernen mit anderen zusammen verschiedene Elemente der Achtsamkeit:
Meditation im Gehen oder stillen Sitzen, Yoga-Übungen oder auch den sogenannten Body-Scan, bei dem man langsam und konzentriert im Geiste den Körper von den Fußzehen bis zum Kopf entlanggeht, um auf diese Weise mehr bei sich zu sein. Zu Hause werden diese Methoden dann weiter eingeübt.

Achtsamkeit definiert der Religionswissenschaftler, Zen- und Yoga-Lehrer Michael von Brück als »projektionsfreie Wahrnehmung« oder auch als
»Maximierung von Bewusstheit«. Man lenkt die eigene Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, wird sich seines Körpers und seiner selbst bewusst, ohne
dabei nachzudenken oder zu urteilen.

Selbstheilung.


Klinische Studien haben ergeben, dass Meditation die Therapie zum Beispiel bei chronischem Schmerz, Depression, Stress, Entzündungskrankheiten sowie Schlaf- und Angststörungen unterstützen kann. Zwar verschwinde beispielsweise der Migräneschmerz nicht, doch verändere sich das Bewusstsein des Meditierenden. »Ein solcher Mensch geht mit dem Schmerz anders um«, sagt Stefan Schmidt, Leiter der Komplementärmedizinischen Evaluationsforschung am Universitätsklinikum Freiburg. Der Meditierende gewinne eine insgesamt gelassenereEinstellung und empfinde den Schmerz daher als weniger belastend. Autoregulation oder auch »Selbstheilung« nennen die Forscher diesen Prozess.

Die Entspannung, mit der der Körper auf ruhiges Atmen und Sitzen reagiert, äußert sich in einem Gefühl zunehmenden Wohlbefindens und geistiger Wachheit und Konzentration. Dieser Zustand wird ausgelöst durch eine Aktivitätszunahme in jenen Arealen des Gehirns, die der Aufmerksamkeit und der Konzentration dienen. So haben die Hirnforscher festgestellt, dass bei Meditierenden mit der Zeit die graue Substanz im Zentralnervensystem zunimmt, die mit der Aufmerksamkeitsfähigkeit in Verbindung steht.
Gleichzeitig erweitern sich beim Meditieren die Gefäße, sinkt der Blutdruck, nimmt das innere
Wärmegefühl zu.

Der Psychologe Peter Malinowsky von der Universität Liverpool spricht vom »Aufblühen geistiger Fähigkeiten« (Flourishing). Seiner Auffassung nach könnten Meditation und andere Achtsamkeitsübungen die geistige Ausgeglichenheit deswegen verbessern, weil sie deren Hauptkomponenten -Willenskraft, Aufmerksamkeit, Kognition und Emotion – (wieder) in eine Balance brächten.

Loslösung vom Ich.


Mit langjährigen Achtsamkeitsübungen sei zudem eine erkennbare Loslösung der Praktizierenden aus der Ich-Zentrierung verbunden, sagt Dieter Vaitl,Leiter des Bender Institute of Neuroimaging an der Universität Gießen. Dort hat die deutsche Meditationsforschung auf neurowissenschaftlicher Basis sozusagen ihren Hauptsitz. Meditation führe über die Erfahrung von Ruhe, Wohlbefinden und innerer Klarheit zur Auflösung
der Ich-Strukturen und damit zu mehr Offenheit, Mitgefühl und Toleranz, so Vaitl.

Allerdings sei diese Veränderung signifikant nur bei Menschen zu beobachten, die schon lange Jahre Achtsamkeit trainierten, schränkt Tanja Singer ein, Professorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Kann man Mitgefühl durch Meditieren lernen? Es scheint so. »Doch die Langzeitwirkungen der Meditation sind noch nicht genügend erforscht«, sagt Singer, hier stecke die Forschung noch in den Kinderschuhen.
Auch weisen Psychotherapeuten darauf hin, dass man die eigene Ich-Zentrierung nur dann überschreiten und aufgeben kann, wenn man überhaupt je so etwas
wie ein Ich ausgebildet hat. Meditation, die in die transpersonale Ebene führt, erfordert also ein stabiles Ich. Ein Paradox.

Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass Meditation letztlich bei jedem Menschen anders wirkt, die Wissenschaftler also nur Trends aufzeigen können. Es gibt immer auch Menschen, bei denen die Haltung der Achtsamkeit nicht in dem Maße zunimmt wie bei anderen.

Das Meditieren birgt bei einigen Menschen sogar Gefahren. Es kann, so Dieter Vaitl, Frustrationen und Verstimmungen bewirken und ein antisoziales Verhalten fördern. Außerdem eignet sich die Meditation nicht bei allen psychischen Problemen als unterstützende Maßnahme. Man kann von den inneren Bildern, die beim Meditieren aufsteigen, auch überschwemmt werden; nicht alle Menschen sind in der Lage, diese Bilder einfach nur »kommen und wieder gehen zu lassen«, wie die Anweisung der Meditationslehrer so schön lautet. Ein Allheilmittel ist die Meditation also nicht.

Fest steht: Man kann Achtsamkeit trainieren – egal, ob man das eigene Tun in einen religiösen oder einen nichtreligiösen Zusammenhang stellt. So meditieren Menschen, die – wie etwa der Mainzer Philosoph Thomas Metzinger – Religion als »irrationales Wahnsystem« scharf ablehnen und daher dieSpiritualität deutlich von der Religiosität abgrenzen. Und es meditieren andere, wie der Benediktinerpater und Zen-Lehrer Willigis Jäger, weil sie darin einen Weg sehen, mit dem göttlichen Urgrund in Berührung zu kommen. Die Motivation, achtsamer leben zu wollen, kann also ganz unterschiedlich sein.

Keine Esoterik.

Eines stellten die anwesenden Wissenschaftler in Berlin gleich am Anfang klar: Mit Esoterik hätten all ihre Untersuchungen nichts zu tun. Es gehe um seriöse wissenschaftliche Forschung. Dieses deutliche Bemühen um Abgrenzung zeigt, dass es im Wissenschaftsbetrieb offenkundig nicht selbstverständlich ist, dass sich Wissenschaftler mit Achtsamkeit beschäftigen. Sie wandern auf einem schmalen Grat. So hat, wie zu hören war, die Deutsche Forschungsgemeinschaft nach wie vor Vorbehalte, die Meditationsforschung finanziell zu unterstützen.

Für den Neuropsychologen Ulrich Ott, der an der Gießener Universität Meditationsforschung betreibt und selbst seit Jahren meditiert, ist eines
offenkundig: dass bei Menschen, die sich in die konzentrierte Stille begeben, die Sensibilität für die Folgen des eigenen Handelns wächst. Ott: »Der
Wunsch nach mehr Sinn und ideellen Werten bei der Arbeit, aber auch die wachsende Kritik an einer einseitig materiellen Ausrichtung der Wirtschaft
verdeutlichen, dass Selbstreflexion und Stille wichtige Impulse für einen Wandel zu einer nachhaltigeren Ökonomie begünstigen.«

Der Neurowissenschaftler trifft sich hier also mit Harald Walach. So gesehen wäre Achtsamkeitstraining nicht nur eine individuelle »Gesundheitsmaßnahme« – sozusagen »Zähneputzen fürs Gehirn«, wie es Walach ausdrückt -, sondern auch ein politischer Weg. Ein hoher Anspruch.

Gleichzeitig gilt: Man darf die Meditation nicht verzwecken. Denn aus dem Zweck- und Nutzendenken führt das Meditieren ja gerade heraus. Wer sie
(halbwegs) zweckfrei praktiziert, hat aber – so scheint es – Nutzen davon. Auch dies ein Paradox.

(Mit freundlicher Genehmigung von „Publik Forum“)

Mehr über die Zeitschrift: Publik Forum

CD’s als Hilfen zur Meditation:

Meditation für Anfänger von Jack Kornfield

Goldmann Arkana, ISBN 10 3-442-33733-X
CD mit 6 geführten Meditationen und Begleitbuch

Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit

Buch und CD, Jon Kabat Zinn (Autor) Ulrike Kesper-Grossman (Sprecher)
Arbor Verlag, ISBN: 3924195579

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